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Das Beileid

Nach Teilen eines Tagebuchs - Werke in zehn Bänden 4

Erschienen am 04.03.2006
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552052666
Sprache: Deutsch
Umfang: 288 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 20.9 x 13.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Der Tagebuchroman "Das Beileid" beschließt die aus ",Z.Z.' das ist die Zwischenzeit" und "Unsentimentale Reise" bestehende autobiographische Trilogie Albert Drachs. Der Krieg ist zu Ende, und dem in Wien geborenen Juden Drach ist es gelungen, den Gasöfen der Nationalsozialisten zu entkommen. Nun, nach Jahren der Flucht, beschließt er, sich einer unglücklichen Liebe wegen das Leben zu nehmen. Das Vorhaben misslingt, doch ist dieser Akt Ausdruck des so verzweifelten wie stolzen Selbstbewusstseins, das die Literatur und die Biographie dieses Schriftstellers kennzeichnet. Sein Weg führt aus dem Exil in Nizza zurück ins Nachkriegsösterreich, wo er einer "Anhäufung der Rührseligkeit und Hinterfotzigkeit" begegnet.

Autorenportrait

Albert Drach, 1902 in Wien geboren, promovierte in Rechtswissenschaften. 1988 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Sein Werk umfasst alle literarischen Gattungen. Albert Drach starb 1995 in Mödling. Zuletzt erschienen: Unsentimentale Reise (2004), Das Beileid (2006), Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum (2008), Gedichte (2009), Das Goggelbuch (2011), Amtshandlung gegen einen Unsterblichen (2013), Die Erzählungen (2014), O Catilina / Kudruns Tagebuch (2018), Das Kasperspiel vom Meister Siebentot. Dramen I Band 8/1 und Gottes Tod ein Unfall. Dramen II. Band 8/II (2022).

Leseprobe

Das Beileid ist fällig, sobald der Leichnam für die Bestattung freigegeben wird oder die Sicherheit eintritt, daß eine solche unterbleibt. Zwar haust man bereits zeitlebens mit seinem Tod, doch erinnert man sich dessen nur, sobald Gefahren darauf hinweisen, wie sie gemeiniglich aus Krankheit, Krieg oder Aufruhr, bei Ungeschicklichkeit aber erst dann entstehen, wenn deren Folgen zum Bewußtsein gelangen. Eine solche war mir erkennbar geworden, als ich es unterlassen hatte, die beste und letzte Gelegenheit zu nutzen, bei der ich in den Genuß der von mir seit mehr als drei Jahren begehrten jungen Dame Sibylle hätte gelangen müssen. Sie hatte sich mit mir und auf meine Kosten anstatt mit ihrem durch Zank und Verdruß in Wegfall gekommenen Begünstigten auf den größten Ball der Stadt Nizza im dortigen Stadtcasino begeben und vorher ihre für das Fest nicht benötigte Garderobe in meinem schmalen Raum genau gegenüber der Veranstaltungsgebäude hinterlassen, während eine ihr beigegebene Aufsicht, Malaiin oder Mulattin, die ihrige in das Casino mitgenommen. Es war mir ferner gelungen, die ganze Nacht mit ihr unter Ausschluß jedes anderen Partners zu tanzen, wobei mein Knie ihrer vordergründigen Bauart gerade so nahe, als es ihre und meine Bekleidung zuließen, jener Stelle nahetrat, an welcher der Endkontakt unmittelbar zuletzt hätte hergestellt werden sollen, und wir waren beide trotzdem offiziös für das erfolgreichste und bestaussehende Paar erklärt worden, zumal unser inniges Ineinanderstreben von außen nicht hatte erkannt werden können. Sie dankte mir beides, das geheime Behagen und die öffentliche Berühmung, dadurch, daß sie sich bereitfand, mit mir, solange ich es für gut hielt, weiter im Kreise zu schwingen, selbst als die Mulattin zum Gehen mahnte und endgültig erklärte, sie würde bei Nichtbeachtung ihrer Mahnung allein den Heimgang antreten. Ich aber mußte mein Glück gefürchtet und meinen psychischen Tod heraufbeschworen haben, als ich den Tanz abbrach und die Begleitung der Malaiin oder Mulattin zuließ, sobald Sibylle ihre nicht für den Ball bestimmten Kleider bei mir abholte. Ehe sie mit dem schwarzen Schatten in die Nacht verschwand, hatte sie noch erklärt, sie würde mich zu ihrer Trauung als Zeugen einladen. Ich bin mithin mit dem rohen Karfiol, sprich Blumenkohl, den ich als Liebesmahl für uns beide vor dem Ballbesuch mit dem Restgeld angeschafft hatte, allein zurückgeblieben. Dabei war die Speise in einem mit Wasser gefüllten Gefäß wohl auf dem einflammigen Rechaud aufgestellt und die Gaszufuhr geöffnet, aber die Zündung unterlassen worden. So mußte, was als Versehen begonnen, als Absichtshandlung schließlich in Kauf genommen, zu einem Erstickungstode führen, den mir die Nazis zugedacht, dem ich aber durch geglückte List seinerzeit entronnen war. Diesmal ging es überdies um ein Einzelsterben, auch der Anlaß war ein anderer. Nun konnte zwar der Eintritt psychischen Endes durch Dazwischenkunft eines Hindernisses noch unterbrochen werden, doch schien dies unwahrscheinlich. Nebenan, links durch eine Wand getrennt, hauste ein Polizist, der Nachtdienst hatte, seine Frau war ausgegangen oder schlief bereits, deren sechzehnjährige Schwester von der Vermieterin der möblierten Zimmer in den vierten Stock gebracht worden, wo fast täglich amerikanische Soldaten japanischer Abstammung lustige Nächte verbrachten und auf die Zufuhr von Frischfleisch warteten. Rechts vor meiner schmalen Kammer befand sich das Klosett mit Wasserspülung für die ganze möblierte Wohnung, das mit meinem Gelaß das Fenster teilte, so zwar, daß der eine Flügel sich hier, der andere dort befand. Aber nächtlicherweile pflegte sich niemand darin aufzuhalten. Bestand bloß die Möglichkeit, daß unter der Tür das Gas austrat und jemandes Aufmerksamkeit ansprach, der gerade vorüberwollte. Aber bis zum Eintritt meines Letalzustandes war wohl kaum jemandes Heimkehr zu besorgen, und würde selbst eine leibliche Rettung noch durch Außenstehende bewerkstelligt werden, war sicher Leseprobe