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Höllenfahrt & Entenstaat

Gedichte, Reihe Lyrik 89

Erscheint am 25.10.2024
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783948336264
Sprache: Deutsch
Umfang: 96 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Gegrüßet seiest du, angehaltene Natur. Der Müde bist du. Wie wird es dem Müden ergehen, wenn er mit seiner unsterblichen Seele, von rasenden Autos ruppig überholt, auf dem Standstreifen langsam in Richtung Unterwelt geht? Monika Rinck erkundet in ihrem Langgedicht HÖLLENFAHRT automobile Todesfahrten und andere Unterweltreisen. In einer unaufhaltsamen Folge von Gedichten geht es durch markante Jenseitstopographien und entlang der genehmigten beschleunigten Straßenprojekte der Bundesregierung in eine neue Mitwelt, in der die Starre des Frosts von der Hitzestarre nicht mehr zu unterscheiden ist. Die Gedichte inszenieren die Zeit oder genauer die stillgestellte Zeit als Moment der Reflexion in und nach einer sich katastrophal entwickelnden Ära des sogenannten Fortschritts. (Klaus Schenk, TU-Dortmund) Fremde Stimmen als Begleiter! Wir lesen in unzugängliche Räume mitgegebene Zeilen, wie sie auf der Innenseite von Sarkophagen zu lesen waren, die viele verschiedene Aufgaben haben: Trost, Unterhaltung, Orientierungshilfe, Wegbeschreibung, Dietätik, Versicherung, Anrufung, Beharrlichkeit, Sorge, Tischordnung, Inventur. Indes erstarrt das stillgestellte Laub, die Enträumlichung durch digitale Dämonen geht voran, die Todeskulte der Gegenwart sind offenbar nicht aufzuhalten. Doch die Wünsche stehen weiterhin im Infinitiv. Neben der Höllenfahrt findet sich in dem geplanten Band auch die Oper: DER ENTENSTAAT, ein Reigen des Trostes durch zerbrechliche Sachen und die große Reparatur. Sowie eine Auflistung des Unverfügbaren, die Behandlung der Fragen, was es bedeutet, das Radio zu lieben, den freien Willen der anderen und den Wind.

Leseprobe

Ich grüße dich, Müder! Denn der Müde bist du. Beinah am Leben. Knöcheltief im hellen Mehl auf Ebenen wirst du stehen, lange warten, dich biegen. Auf einem endlosen Parkdeck, ruhend wie der Verkehr. Allein im sichelnden Wind. Kein anderer Teilnehmer ist müder als du. Am Horizont steht die See, wie betoniert. Ihr teilt eine Starre. Auch das Laub teilt sie mit dir. Wir müde du bist, Müder. Deine Seele liegt tief in der Höhle. Ein leiser Verein. Ich rüttele dich. Sie steigt nicht in die Höhe, tritt nicht über die Stufen. Ich hab sie leise bei ihrem geheimen Namen gerufen. Doch kommt sie nicht wie gerufen. Sie kommt gar nicht. O Müder, wie müde du bist. Wie kann ich dich erheitern? Darf ich dir von den Amöben berichten? Bitte, Müder, lass mich, lass mich dir von den Amöben berichten. Wie sie kriechen, wie sie Kontinente ergeben, Gebärden. Wie sie wirksam werden und waren, etwa in der Phylogenetik. Die Stimmen hörst du, die in den Zeichen geborgen sind. Sie sprechen mir dir, wie mit der Wand. Und auch die Wand spricht mir dir, als seiest du ganz eng verwandt mit der Wand. Das macht die Inschrift. Und du entzifferst mühsam: Am-ö-be. Und aus den Fugen quillt indes ein leicht erhitztes Flüstern, von tief, tief unten, aus dem breiten Strom der Unterwelt kommt jenes Flüstern ans Ufer gekrochen, kochend, dampfend, wie hingefallen und wieder aufgestanden. Wort für Wort, Müder, o Müder, hörst du dies mit deinen Ohren. Auf den Bericht der Amöbe folgt der Bericht der Meta-Amöbe, der der wilden Fahrt in die Tiefe der Unterwelt voransteht, bevor es entlang brennender Gärten unaufhaltsam hinabgeht.